Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen
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Predigt zu Jesaja 6,1-13 Trinitatis 1999 Vikar Martin Jensen
Predigttext Jes 6,1-13: In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm und einer rief zum anderen und sprach: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll." Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: "Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen." Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: "Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, daß deine Schuld von dir genommen werde und deine Sühne gesühnt sei." Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: "Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein" Ich aber sprach: "Hier bin ich, sende mich!" Und er sprach: "Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und versteht´s nicht; sehet und merket´s nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie sich nicht bekehren und genesen." Ich aber sprach: "Herr, wie lange?" Er sprach: "Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner und die Häuser ohne Menschen. Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein."Liebe Gemeinde, Sie sitzen Morgens am Eßtisch, die Vögel singen und der Kaffee duftet verlockend. Und dann ... Au, das tut weh - der Kaffee war viel zu heiß. Die Zunge schmerzt, obwohl schnell zurückgezogen. Wenn man sich die Zunge verbrennt, weil die Bratkartoffeln zu heiß waren, oder der Kaffee, tut das nicht nur am Anfang weh. Noch Stunden später erinnert sich die Zunge an diesen Schmerz. Der Geschmack verändert sich. Die Zunge ist viel empfindsamer geworden für das, was uns an diesem Tag noch über die Lippen kommt. Au, das tut weh, denkt auch Jesaja. Er spürt die glühende Kohle an den Lippen. Ein Engel des Herrn rührt ihn an, reinigt seine Lippen. Wie bei einer verbrannten Zunge, wird Jesaja nun Acht geben darauf, was ihm über die Lippen kommt. Dabei ist hier nicht an Essen und Trinken gedacht. Was zum Munde hineingeht, das macht den Menschen nicht unrein, sondern was aus dem Munde herauskommt, das macht den Menschen unrein (vgl. Mk 15,11) Gereinigt werden Jesajas Worte und Gedanken Gott gegenüber. Eine ungeheure Gottesbegegnung. Jesaja sieht und hört Gott und seine Engel nicht nur, er spürt die heilige Nähe Gottes wie ein brennendes Feuer auf seinen Lippen. Eine glühende Kohle macht Jesajas Lippen bereit, mit Gott zu reden. Seine Sünden werden ihm vergeben, seine Gedanken klar und rein. Es ist kein Zufall, daß der Engel Gottes sich eine Kohle aussuchte. Die Kohle stammt vom Altar des Tempels in Jerusalem. Der Altar steht im Vorraum des Allerheiligsten. Dort befindet sich die Lade mit den zwei Gebotstafeln, die Mose von Gott am Sinai vor Generationen erhielt. Die darauf verzeichneten 10 Gebote sind seitdem die Grundlage für große Religionen und Rechtssysteme geworden. Nach jüdischer Vorstellung ist diese Lade nicht der alleinige Ort der Gegenwart Gottes, sondern nur Gottes Fußschemel. Gott selbst ist der Schöpfer der Welt. Kein Gebäude kann ihn fassen, kein Bauwerk ihn festhalten. Gott überragt den Tempel in Jerusalem weltweit. Jesaja teilt diese Vorstellung. Er beschreibt, daß lediglich der Saum des Gewandes Gottes den Tempel füllt. Trotzdem ist an diesem Ort, bei der Lade im Tempel, Gott direkt erfahrbar. Der Gläubige kann gewiß sein, daß seine Stimme dort von Gott vernommen wird. Er kann beten und Antwort von Gott erbitten. Und genau dort, im Vorraum der Lade, steht der Altar, von dem der Engel die Kohle nimmt. Der Altar ist eine aus großen Steinen gemauerte Feuerstelle, auf der Tag und Nacht ein Feuer brennt, wie ein Ewiges Licht. Bei großen religiösen Festen wird hier das Fett der Tiere geopfert, die für Festmahlzeiten geschlachtet worden sind. Gebete und Gesänge begleiten diese Zeremonie. Diese Opfer sind, wie bei Abel, Dank an Gott für den Lebensunterhalt. Es sind Freudenopfer. Von diesem Feuer, das den Dank der Menschen in Form von Rauch zu Gott sendet, nimmt der Engel die glühende Kohle. Jesajas Lippen werden also berührt mit glühendem Gottesdank gläubiger Menschen. Nur dieser ehrliche Gottesdank kann die Lippen von Sünden reinigen. Die Kohle steht für die Liebe des Menschen zu Gott, für seine Ausrichtung auf Gott hin. Und wie reagiert Jesaja? "Hier bin ich, sende mich." Geradezu übereifrig, ruft er es Gott zu. Gott redet, fragt, und der Mensch antwortet. "Hier bin ich." Der Mensch gibt sich zu erkennen und versteckt sich nicht mehr, wie einst Adam und Eva im Gebüsch. Gott suchte beide und sie gaben sich nicht zu erkennen. Gott mußte erst fragen: "Wo bist du?" Im Hebräischen, der Sprache Jesajas, heißt das "Hier bin ich" "Hinenih". "Hinenih", sagte Abraham, als Gott seine Treue testen wollte und er Isaak binden, aber nicht opfern ließ. "Hinenih" sagte Mose, als Gott zu ihm aus dem brennenden Dornbusch sprach und ihn beauftragte, sein Volk aus Ägypten in die Freiheit zu führen. Auch wir sagen "Hinenih" zu Gott. Der Mensch gibt sich als Gesprächspartner Gottes bewußt zu erkennen.. "Ich bin hier" bedeutet gleichzeitig, "Du meinst mich". Der Mensch weiß, daß Gott ihn als einzelnen Menschen ansprechen will. Gott nimmt ihn als Person in seiner Eigenart ernst. Es liegt beim Einzelnen, ob er Bote sein will, ob er sich von Gott ansprechen, ja begeistern läßt. Jesaja will. "Hier bin ich, sende mich." Ich will dein Bote sein, auch wenn ich nicht weiß, was du von mir verlangst. Sende mich. "Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie sich nicht bekehren." Welch ungeheuerlicher Auftrag, welche Zumutung. Jesaja soll dafür Sorge tragen, daß sein eigenes Volk Gott nicht mehr lobt, Gott nicht mehr zuhört, ihn nicht mehr ansprechen will. Kein Gotteslob soll mehr von den Lippen seiner Landleute kommen. Aber warum? Die Engel haben doch gesungen: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!" Welch Kontrast - alle Lande, alle Völker sollen Gott loben, aber das Volk Jesajas soll Gott nicht mehr loben wollen. Gott kann doch nicht ernsthaft von einem Menschen fordern, ein ganzes Volk gegen Gott aufzubringen? "Gott ist tot, es gibt keinen Gott mehr. Wir sehen, hören und fühlen ihn nicht. Gott ist tot oder zumindest ganz weit weg von uns." So sollen die Menschen sprechen. Kein Lob Gottes, kein "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth" soll über ihre Lippen kommen. Zeitsprung - 2800 Jahre weiter Warum läßt Gott das zu? - so viel Leid, Hunger, Krieg und Elend? Wo ist sein lebendiges Wort, das Schwerter zu Pflugscharen macht? Oder politischer formuliert: Wann lenkt Milosovic endlich ein? Fragen, die beim Hören und Sehen von Nachrichten aufkeimen können. Fragen, die Menschen landauf, landab bewegen, ausgesprochen oder im Stillen. Aus diesen Fragen werden auch Anklagen: Warum sagt die Kirche so wenig, wo ist die eindeutige Alternative zur Gewalt? Es wird Orientierung gesucht - Orientierung in Kriegen, Verfolgung, aber auch in Grenzsituationen des eigenen Lebens. Warum läßt Gott das zu? Kann er nicht Kraft, Sicherheit und Orientierung geben, die von keiner menschlichen Verzagtheit überschattet werden kann? Genau diese Frage wird Jesaja vor 2800 Jahren mit allem Engagement in seinem Volk zur Sprache gebracht haben. Er ist viel gewandert, hat auf Marktplätzen gestanden, in Synagogen gepredigt, hat Kundgebungen einberufen. "Gehen Sie nach Hause, genießen Sie das Wetter. Gott kümmert sich nicht mehr um uns. Das Leid der Menschen beweist es doch. Wenn es Gott denn gibt, hat er sich abgewandt. Gott wird uns nicht helfen. Er hat den Menschen auf die eigenen Füße gestellt und wenn wir untergehen, dann haben wir eben Pech gehabt. "Experiment Mensch gescheitert", das ist das einzige, was Gott denken wird. So ist das. Alles andere ist Selbstbetrug. Der Mensch machts. Wir machen den Weg frei." Und die Antwort. Es gibt immerhin zwei Antworten: Der Mann hat recht, Gott ist tot. Oder: Ich bin gewiß, daß Gott lebt. Durch Jesaja angestachelt, begeben sich Menschen in ihr Innerstes und suchen Kontakt zu Gott. Ihre Erfahrung mit Gott, ihre Sehnsucht nach seiner Liebe entscheiden über die Richtung ihrer Aussage. So kann es auch Menschen geben, die Gott nicht mehr spüren, aber sagen: "Ich würde ihn gern wieder spüren. Ich wünschte, Gott wäre nicht tot." Ein leichtfertiges Bekennen zu Gott dagegen wird bei der herben Anfrage Jesajas schwierig. Der Botengang Jesajas für Gott beginnt, erste Früchte zu tragen. Seine Hörer entscheiden sich, ob es Gott gibt oder nicht. Es gibt kein "Vielleicht lebt Gott" mehr. Durch die Verneinung Gottes kommt der Glaube an seine Gegenwart erst richtig zur Sprache - wird verkündigt. Es sind 10 Jahre vergangen. Jesaja liegt erschöpft in einer kleinen Höhle in den judäischen Bergen um Jerusalem. Die Jahre haben ihn unverhältnismäßig stark altern lassen. Für viele Menschen ist Jesaja selbst wie ein Gott geworden. Sie folgen seinen Anklagen gegen Gott, rufen: "Gott ist tot, wir selbst machen den Weg frei." Sie verlachen die Menschen in den Synagogen, die weiterhin zu Gott beten. Sie überschütten Jesaja mit Ehrungen, die seinen freiheitlichen Geist anerkennen. Jesaja könnte gut leben von dem, was er so geschenkt bekommt. Doch sein Herz ist bei diesen Ehrungen nicht froh. Es ist traurig über die Abkehr dieser Menschen von Gott, über ihr "Nein". Vor Freude hüpft sein Herz dagegen, wenn unverzagt Glaubende ihn zu sich einladen und ihn zu überzeugen trachten, daß Gott lebt. Sie verhöhnen ihn nicht - nein sie berichten von ihrem Glaubensweg mit Gott. Jesajas Herz hüpft, wenn er ihrer Gottesbegeisterung zuhört. Er hat die letzten Worte seiner Beauftragung noch genau ihm Ohr: "Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein." Diese Gläubigen werden das Unheil, das Gott über sein Volk kommen lassen wird, überleben. Sie sind der heilige Same und damit der eigentliche Grund für Jesajas Beauftragung durch Gott. Die Entscheidung, die Gott durch Propheten wie Jesaja angemahnt hat, ist auf uns übergegangen durch das Leben Jesu Christi und die Gabe des Heiligen Geistes. Gott bläst uns seinen Geist um die Ohren. Er will wissen, wie wir diesen Geist umsetzen in liebendes Verhalten zu Gott und den Menschen. Wenn Jesus im Johannesevangelium sagt: "Ihr müßt von neuem geboren werden." dann meint er, "Ihr müßt Euch auf Euren eigentlichen Ursprung, auf Gott, besinnen." Ist Gott tot oder lebt Gott? Wenn diese Frage mit heiligem Ernst beantwortet wird, ergeben sich 10 Konsequenzen für unser Handeln. 10 Gebote, von Mose am Sinai gehört und aufgeschrieben, in der Lade nach Jerusalem gebracht, in der Nähe der feurigen Altarkohlen aufgestellt, irgendwann materiell verlorengegangen, aber von gläubigen Menschen bewahrt. Manchmal ist unser Reden und Handeln ähnlich gebrochen, wie Jesajas Leben, wobei wir meist positiver reden als handeln. Doch Mund und Hände sollen im Einklang die Liebe Gottes verkünden. Das Gotteslob mit tausend Zungen und das Handeln nach den 10 Geboten, den Gesetzen der Liebe, gehören untrennbar zusammen. Möge Gott in und durch uns lebendig sein in dieser Welt, so daß viele Menschen sagen können: Hinenih. Hier bin ich, Gott. Du lebt, du bist heilig und alle Lande sind deiner Ehre voll. Wie heißt dein Auftrag? Amen
Ideen und Mails