Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen


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Predigt zu Ezechiel 34,1-16+31 Misericordias Domini (18. April 1999)
Vikar Martin Jensen

Liebe Gemeinde,
„Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide und ich will euer Gott sein."
Kräftige, unverbrüchliche Zusage Gottes an die Menschen seines Glaubens. 
Worte, die unendlich gut tun, so wie „Ich liebe Dich" „Ich freue mich auf Dich" „Ich trau Dir
einiges zu" , „Ich verlasse Dich nicht". 
Worte voller Wärme und Geborgenheit. Schauen wir 2500 Jahre zurück zum ersten Hörer
dieser Worte, zum Propheten Ezechiel.
Ezechiel sieht auf das Pergament in seiner Hand. Im Fluß Kebar spiegelt sich die
untergehende Sonne in goldenen Bahnen. Gott hat zu ihm gesprochen. Gott hat ihn getröstet,
getröstet in der nicht gewählten Fremde in Babylonien. Der Tag, als die Babylonische Armee
vor 10 Jahren Jerusalem angriff und eroberte, hat sein Leben total verändert. Ezechiel war
Priester, Gottesdiener am Tempel. Er gehörte damit zu den religiös wichtigen Leuten, zu den
Glaubenshirten der Israeliten. Die Priester, Politiker und Lehrer hatten Angst. Die Babylonier
trieben die gesamte Elite der Volkes zusammen und ..., 
Nein, sie töteten sie nicht. Die Eroberer verfolgten andere Ziele.
Ezechiel wurde mit Hunderten anderer Persönlichkeiten nach Babylonien zwangsumgesiedelt
- deportiert. Viele Wochen dauerte der Marsch in das Land der Macht, ins Ungewisse. Ihr
Herz blieb in Jerusalem, ihr Körper ging nach Babylonien - innere Zerrissenheit. Ezechiels
Körper ging es gut, er hatte sich ein Haus bauen können, lebte mit seinen Priesterkollegen in
einer Siedlung in Südbabylonien am Fluß Kebar. Sie durften Handel treiben und Felder
bestellen und sich selbst verwalten. Sie versuchten, kleinere Gottesdienstformen zu
entwickeln, die sich ohne Tempel in ihren Häusern feiern ließen - Hausgottesdienste.
Ezechiel suchte jedoch sein Herz, suchte Gott in diesem fremden, fremd gebliebenen Land.
Und Gott sprach zu ihm, machte ihn zum Sprachrohr für seine gute Botschaft, sein
Evangelium an die Vertriebenen. „Ich bin bei euch alle Tage, auch hier in Babylonien" das
war sein erstes Hörerlebnis. „Gott hat uns nicht allein wegziehen lassen, er ist mitten unter
uns", so hatte Ezechiel seinen Landsleuten gepredigt. Hoffnung und neuer Gottesglaube
wurden gesät. Die Hoffnungslosen horchten auf. Die Gotteslästerer wunderten sich: Ist Gott
nicht tot? Sind wir nicht allein gelassen?
Doch Gott hatte seinem Boten Ezechiel noch mehr zu sagen, das, was er gerade eben notiert
hat: „Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie
in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels. ... Ich will sie auf die beste
Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein." 
„Die hohen Berge Israels, in der Heimat, ganz nahe bei Gott" seufzt Ezechiel. In seiner
Erinnerung wandert er die alten Pfade durch die judäischen Berge bis hinauf zum
schneebedeckten Hermon. Die Sonne ist untergegangen und es wird abendlich kühl. Doch in
seinem Herzen brennt das göttliche Feuer der Sehnsucht nach Heimat. Gott wird sie bald ...
Da trifft Ezechiel ein Ellbogen in die Seite „Du spinnst wohl, was heißt das, „ich will an die
Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern, ich will ein Ende damit machen, daß
sie Hirten sind" - sind wir etwa keine guten Hirten für unser Volk gewesen?" ruft Simon
empört neben ihm. „Das kann Gott, gepriesen sei Er, doch nicht so gemeint haben. Du solltest
besser zuhören und nicht einfach drauflos schreiben." Ezechiel guckt ihn irritiert an, vom
Traum der Heimat unsanft in die Realität der Fremde geholt. „Waren wir wirklich gute
Hirten?" fragt Ezechiel zurück. Beide schweigen sich an. Simon holt tief Luft: „Wir haben
unser Gemeinde von der Liebe Gottes gepredigt und sie zur Beachtung der 10 Gebote
aufgefordert. Und die Politiker haben den Menschen ein Leben in Frieden und Freiheit
ermöglicht mit eindeutigen Rechtssetzungen und der Unverletzlichkeit der Person. Wir haben
unser Bestes getan. Warum sagt Gott dann, wir hätten uns nur selbst geweidet und nicht die
Menschen in unserer Obhut?" 
 „Warum klagst du Gott an?" entgegnet Ezechiel und legt seine Hand auf Simons Schulter.
„Gott kommt es darauf an, was Dir wichtiger ist, Simon, die dir anvertrauten Menschen oder
dein eigenes Ansehen und Vermögen. Wenn du dich um deine Kinder als Vater, um deine
Eltern als Sohn, um deine Gemeinde als Priester sorgst, dann bist du wie ein Hirte, der um
eines verlorenen Schafes Willen auf die Suche geht und es zurückträgt; oder wie ein Hirte,
der die Herde in einer dunklen Schlucht beschützt vor den wilden Tieren. Da aber vielen
Politikern ihr Geld und ihr Ansehen und Priestern ihre theologischen Höhenflüge wichtiger
waren als die Menschen, wird Gott diese von ihrem Hirtenamt absetzen und selbst Hirte für
die getäuschten und orientierungslosen Menschen werden. Und Gott wird uns Entwurzelte
zurückführen ins gelobte Land und mit den Daheimgebliebenen zusammenführen. Lies den
letzten Absatz der Prophezeiung, Simon." 
Simon blickt auf das Pergament: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte
zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und was fett und
stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist." Das ist die Gerechtigkeit Gottes, daß
er sich um Schwache und Starke gleichwohl sorgt. Starke sollen nicht gebrochen werden und
Schwache nicht im Staub liegenbleiben. Gott ist Tröster und Hüter aller Menschen seines
Glaubens.
Hier wollen wir die beiden, Simon und Ezechiel, am Fluß Kebar verlassen. 

Die Prophezeiung an Ezechiel hat - wie die meisten Gottesworte an Juden und Christen - eine
endliche und eine unendliche Dimension. Die endliche ist bei Ezechiel die Rückkehr nach
Israel und der Aufbau des Gotteshauses als Tempel. Diese erfüllte sich den Kindern und
Kindeskindern Ezechiels durch die Politik des persischen Königs Kyros. Kyros eroberte
Babylonien. Er ließ die Israeliten mit ihrem erworbenen Eigentum nach Israel zurückkehren.
Durch den wiederaufgebauten Tempel wurde Gott wieder allen Juden als allein wirksamer
Gott sichtbar. Dieser Gott heilt Zerrissenheit und Entwurzelung. Die unendliche Dimension
des Gotteswortes vom Hirte-Sein steht noch aus. Es ist die absolute Gleichbehandlung von
Menschen ohne Tritte oder Jubelschreie im zukünftigen Reich Gottes. Dann werden alle
Menschen stark sein, stark im Glauben und in der Liebe zum Mitmenschen. 
Mir fällt eine Begegnung im Predigerseminar ein. Der 23. Psalm wurde von 8 Vikarinnen und
Vikaren für die anderen Kollegen erlebbar gemacht. Wir stellten Wasserschalen und blühende
Pflanzen als Aue auf, ließen enge Stuhlreihen mit schwarzen Tüchern überspannt zum
dunklen Tal werden und erquickten ihre Gemüter mit Sprudel und einem sonnigen Platz. Zum
Abschluß nahm jeder von uns einen Kollegen oder eine Kollegin in den Arm - manche
stumm, manche mit Worten wie: „Schön, daß es dich gibt." Worte, nicht nur zwischen guten
Freunden gesprochen. Hier kamen sich auch Kämpfende näher. In unserer Lebenswirklichkeit
können wir dem Hirte-Sein Gottes so einen Weg bereiten.
Als Auferstandene und Lebende werden wir ungebrochen Gott Antwort geben können auf
seine liebevolle Zusage. „Wir lieben Dich" „Wir freuen uns auf Dich" „Wir trauen Dir alles
zu" „Wir verlassen Dich nicht". Denn wir sind nicht mehr müde, sondern auferstanden.

Amen

Ideen und Mails an: martin@comtheo.de